Weihnachtsgrüße unseres Pfarrers

Das Leben gehört an die große Glocke

Was wäre Weihnachten ohne die Glocken. »Süßer die Glocken nie klingen . . .« Seit Ende November haben wir dieses Lied hundertfach auf den Weihnachtsmärkten und in den Kaufhäusern gehört. Wer am Heiligen Abend z.B. auf dem Frankfurter Römerberg steht, dem dringt das kraftvolle Stadtgeläut durch Mark und Bein. Das süßliche Gebimmel des Weihnachtsmarktes ist verstummt, jetzt haben die Glocken das Wort, auch in Göttingen. Sie läuten das Fest der Geburt Christi ein. Das Kind in der Krippe ist der Inbegriff des Lebens. Zu Weihnachten geht es ums Leben, um das Leben in seiner ganzen Ursprünglichkeit, um den Ursprung des Lebens in Gott. Deshalb gehört das Leben an diesem Tag an die ganz große Glocke: Freude über alles, was lebt, Leben schenkt und schützt; Protest gegen alles, was dem Leben an den Kragen will und es kaputtmacht. Ganz aktuell.

Fehlstart?

Um das Leben stand es schlecht damals in Betlehem. Verzweifelt sucht da ein Mann für seine hochschwangere Frau ein Zimmer, in dem sie ihr Kind zur Welt bringen kann. Das ein Kind zur Welt kommt, war für diesen Tag in Betlehem nicht vorgesehen. Das passte den Leuten nicht in ihren Kram. Für Maria und Josef und für Jesus blieb ein schäbiger Stall. Von Romantik keine Spur. Es fehlte an allem. Nach unseren Maßstäben hat Gott einen Fehlstart ins Leben. Jesu Geburt lässt die »Schwäche« Gottes erkennen. Er hat eine Schwäche für uns Menschen. Er verlässt sich in Betlehem nicht auf gesicherte Strukturen, sondern einzig und allein auf zwei Menschen, die bereit sind, ihn in ihr Leben hineinzulassen, ihn als Kind anzunehmen.

Kleine Schritte

Ein Kind was ist das schon? Der lästige, leider nicht zu umgehende Anfang menschlichen Lebens? Wir möchten gern fertige Menschen, wie aus dem Ei gepellt, ein Leben ohne Zwischenfälle und Enttäuschungen. Wir möchten große Sprünge machen statt (wie die Kinder) kleine Schritte; dafür haben wir keine Zeit. Wo wir das Kind verdrängen, vergessen wir, dass das Leben klein beginnt, angewiesen auf Liebe und Zuneigung. Auch wenn wir innerlich wachsen, fängt es klein an, wir merken es kaum. Deshalb erstickt so viel Neues in uns, weil wir ihm keinen Raum geben. Wir lassen das innere Wachsen in kleinen Schritten nicht zu und setzen umso mehr auf äußeres Wachstum: immer mehr, immer größer, immer besser.
Ein Geschenk des Himmels
Erstaunlich genug: Am Anfang unseres Daseins steht das Empfangen, nicht die eigene Tat. Das Leben ist uns vorgegeben, es wird uns geschenkt. Wir sind nicht Schöpfer unserer selbst, so gern wir es vielleicht auch sein möchten. Wir haben uns nicht selbst gemacht, wir sind Empfangene. Unser Leben ist mehr Gabe als Werk, mehr Geschenk als Tat. Es verdankt sich nicht unserer Leistung, sondern Gott. Sein Ebenbild sind wir.

Menschenwürde

Kann man größer vom Menschen denken? Christen lassen sich von niemandem darin übertreffen, groß vom Menschen zu denken, unter Berufung auf Weihnachten, auf die Menschwerdung Gottes. Weil das so ist, darum treten wir für das Leben ein. Der Mensch, ob geboren oder ungeboren, ist unserer Verfügung entzogen. Es gibt nur einen Herrn über Leben und Tod. Wir sind's nicht. Das Leben steht nicht zu unserer Disposition, weder am Anfang, noch am Ende, noch überhaupt. Wir sind keine Herrgötter. Aber Töchter und Söhne Gottes sind wir, so wahr Jesus unser Bruder geworden ist. Darin ist unsere Menschenwürde begründet, darum dürfen wir sie nicht antasten. Wir haben allen Grund, diese Botschaft an die große Glocke zu hängen. Christen sind keine Notare des Zeitgeistes oder der öffentlichen Meinung. Sie wissen, was die Stunde geschlagen hat: Alles steht auf dem Spiel, wenn es ums Leben geht, erst recht, wenn es ans Leben geht.

Corona hat uns verändert. Veränderung muss sein. Seit Weihnachten hat sich für uns Menschen viel verändert. Für uns Christen natürlich in Verbindung mit Ostern.
Dechant Wigbert Schwarze